Ein wesentlicher Schwerpunkt der Arbeiten des Instituts für Technische Chemie (ITC) am KIT liegt in der Entwicklung umweltfreundlicher, thermischer Verfahren zur Anwendung von Biomassen, Ersatzbrennstoffen und alternativen Brennstoffen in Hochtemperaturprozessen. Dies wird im ITC mit Hilfe eines im Institut entwickelten 3-Schritt-Charakterisierungskonzeptes realisiert. Eine Biomasse bzw. ein Ersatzbrennstoff wird im ersten Schritt hinsichtlich der chemischen Zusammensetzung untersucht. Im zweiten Schritt erfolgt eine verbrennungstechnische Charakterisierung des Brennstoffs in einem Festbett-Laborreaktor namens „KLEAA“, wobei das ermittelte Abbrandverhalten mit zeitlich lokalen Betttemperaturen, Luftzahlen, Gaszusammensetzung und Kennzahlen wie Zündzeit, Reaktionsfrontgeschwindigkeit, Massenumsatzrate und spezifische Wärmefreisetzung beschrieben wird. Der dritte Schritt umfasst die Übertragung der Ergebnisse vom Festbett auf eine Vorschubrostfeuerung. Dies ist möglich, wenn die Vermischung des Brennstoffs auf dem Rost begrenzt ist, nämlich bei niedrigem Aschegehalt, für einen Wander- oder Vorschubrost, wenn die effektive Brennstoffbettgeschwindigkeit auf dem Rost bekannt ist und wenn die lokale, spezifische Primärluftmenge gleich ist. Das Ergebnis kann in der Pilotanlage des ITC „TAMARA“, die mit einer solchen Feuerung ausgerüstet ist, validiert werden.
Zur Unterstützung und Ergänzung der experimentellen Abschätzung des Verbrennungsverhaltens im Festbett wurde am ITC das numerische Modell „KLEAA Code“ für holzartige Biomasse entwickelt. Dieses auf einer eindimensionalen Kaskade perfekt gemischter Rührkessel basierendes Konzept betrachtet den Brennstoff als eine poröse Schüttung, die vom Gas durchströmt wird. Die Massen-, Element- und Energiebilanz wird daher für beide Phasen formuliert. Die Wärmeübertragung wird sowohl zwischen Feststoff und Gas, als auch zwischen Feststoffpartikeln in benachbarten Rührkesseln berücksichtigt. Sie erfolgt durch Konvektion und Strahlung zwischen den Phasen, und durch Leitung und Strahlung zwischen den Feststoffpartikeln. Stoffübergang ist nur in Richtung vom Feststoff in die Gasphase möglich. Das Pyrolysemodell betrachtet den festen Brennstoff als Zellulose, Hemizellulose und Lignin, für deren heterogene Zersetzung eigene Reaktionen formuliert werden. Die Zellulose zersetzt sich zum Teil in als Levoglucosan angenommenen Teer, der sich weiter in die Gasphase zersetzt. Das Pyrolysemodell besteht daher aus fünf heterogenen Reaktionen.
Der zunächst für kugelförmige Holzpartikel (Modelbrennstoff) im Festbett validierte „KLEAA Code“ kann so erweitert werden, dass es eine Simulation des Verbrennungsprozesses von technischen biogenen Brennstoffen wie Holzhackschnitzel (HHS) und abfallbasierten Ersatzbrennstoffen auch auf einem Vorschubrost ermöglicht. Die Erweiterung des Modells muss dementsprechend chemische, physikalische und geometrische Unterschiede sowohl zwischen einer holzartigen Biomasse und einem Ersatzbrennstoff, als auch zwischen kugelförmigen und realen Brennstoffpartikeln berücksichtigen.
Die Charakterisierung dieser Unterschiede bildet einen wesentlichen Teil der vorliegenden Dissertation. Um dieses Ziel zu erreichen wurden Holzhackschnitzel (HHS) und zwei durch REMONDIS Rheinland GmbH hergestellte Ersatzbrennstoffe „BIOBS“ und „SBS®1“ gewählt und gemäß dem 3-Schritt-Charakterisierungskonzept untersucht. Die physikalisch-chemische Charakterisierung der Brennstoffe im ersten Schritt wurde um eine detaillierte Sortieranalyse und eine Nahinfraroterkennung der Hauptkomponenten erweitert. Beide Analysen bewiesen, dass die Ersatzbrennstoffe hauptsächlich aus holzartiger Biomasse, Inertstoffen (Glas, Steine, Sand) und einer Mischung von zahlreichen Kunststoffen bestehen. Basierend auf diesen Analysen wurde der repräsentative Ersatzbrennstoff „SBS®1“ gewählt und thermogravimetrisch untersucht, womit dieser Brennstoff sich modellhaft als Mischung von Holz, Polyethylen und Asche mit einem bestimmten Verhältnis zueinander definieren lässt. Die Erweiterung des Pyrolysemodells im „KLEAA Code“ zur Unterscheidung eines Ersatzbrennstoffs von Holz umfasst daher eine zusätzliche Reaktion für die thermische Zersetzung von Polyethylen.
Eine notwendige physikalische und geometrische Charakterisierung der gewählten Brennstoffe erfolgte durch zwei Parameter, die in den Modellen der Wärmeübertragung, Pyrolyse und Feststoffabbrands im „KLEAA Code“ wesentlich sind: die Dichte der Brennstoffpartikel und ihre spezifische Oberfläche. Zur Bestimmung beider Eigenschaften wurde eine neue Grundlage für ein systematisches Messverfahren erstellt. Die Partikeldichte wurde mit einem neuen, speziell für Ersatzbrennstoffe konzipierten Pyknometer gemessen. Im Unterschied zu bekannten Pyknometern, in denen eine Flüssigkeit oder Gas Einsatz finden, wurde ein pulverförmiger Feststoff mit kinematischen Eigenschaften einer Flüssigkeit verwendet. Eine Verfälschung der Messergebnisse durch die in die Poren der Brennstoffpartikel eindringende Flüssigkeit wurde dadurch eliminiert. Das Messprinzip wurde zuerst für Stoffe mit einer bekannten Geometrie und Dichte validiert, und zeigte eine hohe Reproduzierbarkeit der Ergebnisse. Anschließend wurde die Dichte von untersuchten Brennstoffen gemessen. Die Dichte von Holzhackschnitzeln (HHS) war, wie erwartet, sehr ähnlich wie für Hartholz. Der gewählte Ersatzbrennstoff besitzt, trotz einem sichtbaren Anteil von schaumförmigen, leichten Partikeln, eine merklich höhere Dichte als Holz.
Die Bestimmung der spezifischen Oberfläche wurde indirekt durch die Messung des Druckverlustes über ein Brennstoffbett im kalten Zustand realisiert. Zur Validierung der Methode wurden Messungen mit Schüttungen mit einer klar definierbaren Geometrie, wie Kugeln, Quader und Würfel durchgeführt. Die beste Übereinstimmung der tatsächlichen und gemessenen Partikeloberfläche lässt sich für Kugeln erkennen. Drei bekannte Formeln, die einen Zusammenhang zwischen dem Druckverlust und der Partikeloberfläche herstellen, wurden betrachtet. Gewählt wurde die, die die niedrigste Sensitivität bezüglich der Gasgeschwindigkeit durch das Bett nachweist. Damit wurden die Partikeloberflächen für HHS und einen Ersatzbrennstoff bestimmt, die deutlich höher waren, als die aus der mittleren, mittels einer Siebanalyse ermittelten Partikelgröße (über Sauter-Durchmesser) berechneten.
Die verbrennungstechnische Charakterisierung beider Ersatzbrennstoffe und der HHS wurde in dem Laborreaktor „KLEAA“ (zweiter Schritt) und in der halbtechnischen Vorschubrostfeuerung „TAMARA“ (dritter Schritt) bei definierten Prozessbedingungen durchgeführt. Basierend auf den globalen und lokalen Massen-, Elementar- und Energiebilanzen wurde das Abbrandverhalten mit den zeitlichen bzw. lokalen Betttemperaturen, Luftzahlen, Gaszusammensetzungen und modellhaft mit den Kennzahlen Zündzeit, Reaktionsfrontgeschwindigkeit, Massenumsatzrate und der spezifischen Wärmefreisetzung beschrieben. Das Abbrandverhalten im Laborreaktor kann für HHS und dem Ersatzbrennstoff „BIOBS“ mit sehr hohem biogenen Anteil als repräsentativ bezeichnet werden. Für HHS wurden eine quasi-stationäre Hauptverbrennungsphase und ein nachfolgender Koksausbrand beobachtet. Der feuchte Ersatzbrennstoff verbrannte sehr homogen, ohne eine klare Unterscheidung zwischen beiden Phasen, was ein typisches Verbrennungsverhalten für nasse, biogene Brennstoffe ist. Das im Laborreaktor ermittelte und auf den Vorschubrost „TAMARA“ übertragene Abbrandverhalten wurde durch Testläufe für beide Brennstoffe bestätigt. Der zweite, für Ersatzbrennstoffe repräsentative Brennstoff „SBS®1“ verbrannte jedoch anders – eine Freisetzung von flüchtigen Bestandteilen wurde auch in der Koksausbrandphase beobachtet, was auf die Verbrennung von auf dem Reaktorboden liegenden Kunststoffteilchen zurückzuführen ist. Für diesen Brennstoff erfolgte keine Übertragung der Ergebnisse vom Festbett auf den Vorschubrost.
Im letzten Teil der Arbeit wurde die Verbrennung von HHS und des gewählten Ersatzbrennstoffs „SBS®1“ mit dem erweiterten Modell des „KLEAA Code“ für das Festbett berechnet. Die gemessenen Brennstoffdichten, Partikeloberflächen und die chemische Zusammensetzung des Ersatzbrennstoffs (als Holz- und Polyethylen-Gemisch angenommen) wurden dabei verwendet. Die durchgeführte Simulation fürs Hackgut lieferte ein sehr gutes Ergebnis bezüglich des Massenumsatzes in der Hauptverbrennungszone. Der Koksausbrand konnte aber nicht korrekt simuliert werden und war zu kurz im Vergleich zu dem gemessenen. Die simulierten Konzentrationen von Kohlenstoffmonoxid und Wasserstoff waren in der Hauptverbrennungszone höher als die gemessenen, was auf einen zu hohen Kohlenstoffumsatz im Modell hinweist. Das Verbrennungsverhalten des Ersatzbrennstoffs wurde nur mit einer begrenzten Genauigkeit am Anfang der Hauptverbrennungszone simuliert. Weder ein klar sichtbarer Koksausbrand, noch die in der Praxis beobachtete Verbrennung von Kunststoffen im Koksausbrand konnte im Modell wiedergegeben werden, was wahrscheinlich durch eine fehlende Berücksichtigung des Feststofftransports zwischen den Schichten (Rührkesseln) zu erklären ist. Des Weiteren ist die Beschreibung eines sehr komplexen Ersatzbrennstoffs mit nur mittleren Partikeloberflächen und einer vereinfachten Zusammensetzung höchstwahrscheinlich nicht ausreichend.
Die Validierung des „KLEAA Codes“ wurde für die Vorschubrostfeuerung für HHS und in einem sehr begrenzten Umfang für den Ersatzbrennstoff „SBS®1“ durchgeführt. Der Rost „TAMARA“ besteht aus vier gleich langen Primärluftzonen, wobei die Verbrennung für alle Brennstoffe auf Grund hoher Falschluftmengen schon in den ersten beiden Zonen vollständig abgeschlossen war. Der Massenumsatz wurde in diesem Bereich für HHS korrekt und auch für „SBS®1“ einigermaßen befriedigend simuliert. Die Messung der Gaszusammensetzung über dem Rost war in der ersten Primärluftzone jedoch nur an einer Messstelle möglich. Die Messwerte für die Gaskomponenten an dieser Messposition wurden mit ihren simulierten Verläufen verglichen und zeigten eine ähnliche Genauigkeit wie für das Festbett.
Die zukünftige Arbeit sollte eine weitere Entwicklung der Messmethode zur Bestimmung der Brennstoffdichte und der Partikeloberfläche umfassen. Eine umfangreiche Datenbasis der Ergebnisse kann eine Plausibilitätsprüfung der gemessenen Werte deutlich erleichtern. Die Weiterentwicklung des Modells sollte die Wärmeverluste und eine Verfeinerung des Pyrolysemodells berücksichtigen. Des Weiteren ist eine genauere, modellhafte Beschreibung eines Ersatzbrennstoffs hinsichtlich der Zusammensetzung und der physikalischen Parameter wünschenswert.